Greta Lauer “Gedeih und Verderb” & Verena Dolovai “Dorf ohne Franz”
Lesung und Gespräch
Literaturhaus Mattersburg
Dorf ohne Franz
"Toni?, rufe ich, nachdem ich die Schuhe abgestreift habe. Es riecht nach Hühnersuppe. Ich klopfe an die Tür von Tonis Zimmer. Er antwortet nicht. Ich öffne die Tür und spüre einen Widerstand. Als ich durch den offenen Türspalt luge, sehe ich, dass Toni auf dem Boden liegt. Aus seinem Mund läuft Speichel. Seine Augen sehen seltsam verdreht aus. Langsam schließe ich die Tür wieder. Gehe nach draußen. Gehe immer weiter. Aus dem Dorf hinaus." Verena Dolovai, Dorf ohne Franz
Maria erinnert sich, wie sie in den 1960er-Jahren auf einem Bauernhof mit ihren Brüdern Josef und Franz im Dorf aufgewachsen ist. Während Josef, der Älteste, in die Fußstapfen des Vaters tritt, entzieht sich Franz, Nesthäkchen und Liebling der Mutter, den traditionellen Erwartungen des rauen Alltags. Maria ist zerrissen zwischen Anpassung und Sehnsucht. Sie träumt von einem selbstbestimmten Leben außerhalb der engen Grenzen des Dorfes, bleibt aber, heiratet Toni und bekommt ein Kind. Mittellos und in Abhängigkeit gefangen, arbeitet Maria pflichtbewusst mit, wo sie gebraucht wird, und pflegt nahe Angehörige. Als Maria Toni eines Tages reglos am Boden vorfindet, sieht sie erstmals eine Chance, dem vorgezeichneten Leben zu entgehen.
Verena Dolovai erzählt in ihrem Roman von patriarchal geprägten dörflichen Strukturen und der Schwierigkeit, auszubrechen. Gelingt es Maria, das Dorf hinter sich zu lassen? Und wo ist eigentlich Franz?
Verena Dolovai
geboren 1975 in Gmunden als Verena Obrovski, lebt und arbeitet als Juristin und Autorin in Klosterneuburg und Wien. Absolventin der Rechtswissenschaften & Dolmetsch- und Übersetzerwissenschaften (Englisch / Italienisch), Universität Wien. Schreibt Lyrik und Prosa. Sie hat zahlreiche Texte in literarischen Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht und ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung, der Interessengemeinschaft Autorinnen Autoren und von Podium Literatur. Mit "Dorf ohne Franz" (2024) war sie auf der Shortlist Debüt 2024 des Österreichischen Buchpreises.
Gedeih und Verderb
"Lose Frauen gibt es im Dorf. Es sind immer die losen Frauen, die singen. Sie treten aus der Haustür und schlackern mit ihren Kehlen im Wind. Das Dorf hört diesen Gesang nicht gerne. Er erinnert an die Tage, als das Meer über das Dorf hereinbrach. Damals herrschten paradiesische Zustände. Doch als hätte Gott die Menschen für dieses Glück bestrafen wollen, zog sich das Meer so rasch, wie es gekommen war, wieder aus dem Dorf zurück. Aber es gibt niemanden, der über das Schicksal von einem Menschen, einem Dorf oder einer Welt bestimmt, keinen Anderen, der das Glück in Händen hält und es austeilt, wie es ihm gefällt. Es gibt auch kein Glück. Geben tut es überhaupt nichts, außer vielleicht die Ohnmacht, aber die ist nicht zu greifen, nicht mit Sprachfingern und schon gar nicht mit Stümpfen. Und wenn die Worte fehlen, spricht der Körper." Greta Lauer, Gedeih und Verderb
Seltsame Dinge geschahen im Dorf. Magenhäute wurden als Flaggen gehisst, Vorhäute um Arme gewickelt und die losen Frauen schlackerten mit ihren Kehlen im Wind. Die Großmutter und die Mutter hielten Wache über die Bräuche im Dorf. Sie führten Aufgaben aus, die bald auf eine junge Frau übertragen werden sollten. Was es zu bewachen gilt, bleibt verborgen. Die Protagonistin versucht, den Klauen dieser bizarren Dorfgemeinschaft durch die Flucht in die Stadt zu entkommen, aber auch dort ist sie mit einer Gesellschaft konfrontiert, die heillos um ihren Zusammenhalt ringt.
Greta Lauer hat mit Gedeih und Verderb einen Text über Schmerzen geschrieben. Schmerzen, die in der Familie und der Gemeinschaft über Generationen unter der Hand weitergereicht werden und die durch tägliche Riten, durch Sprache und durch Sexualität am Leben bleiben. Das Erinnern und Erzählen der Protagonistin ist der Versuch, diese Gewalt mit Sprache begreifen zu können. Lauers eigene Sprache ist dabei hart und lyrisch und vorwärtsdrängend und erzeugt durch Rhythmus und Musikalität eine Art Bann, der sich erst am Ende auflösen soll.
Greta Lauer
geboren 1990 in Klagenfurt, lebt in Wien. Sie studierte Germanistik, Philosophie und Psychoanalyse und war als Regieassistentin an deutschsprachigen Theaterhäusern tätig. Sie schreibt szenische Texte, Lyrik und Prosatexte, ist Mitglied der GAV und veröffentlichte bisher in verschiedenen Literaturzeitschriften. „Gedeih und Verderb“ ist ihr Romandebüt.
Vor Ort wird es einen Büchertisch von buchwelten Emmer geben.
"Dorf ohne Franz" erscheint im Septime Verlag, "Gedeih und Verderb" im luftschacht Verlag.
Eintritt: Freie Spende
Aus organisatorischen Gründen bitten wir um Anmeldung unter andrea.holzinger_at_literaturhausmattersburg.at.
Im Rahmen dieser Veranstaltung werden Fotografien und/oder Filme erstellt, die für Pressearbeit und Berichterstattung sowie in verschiedenen Sozialen Medien, Publikationen und auf unserer Website verwendet werden. Sollten Sie nicht damit einverstanden sein, wenden Sie sich bitte an das Team des Literaturhaus Mattersburg.