Der Wunsch
Eines Tages führten Gott und Franz Kafka das folgende Gespräch.
Gott: Du schaust so traurig Franz, kann ich dir irgendwie helfen?
F.K.: Die ganze Welt weiß mittlerweile, warum ich traurig bin. Aber vielleicht willst du mir das Schicksal damit erleichtern, daß ich es selbst ausspreche. Ist es einmal heraus, geht es schon leichter, denkst du, weißt aber genau, daß sich bei mir durch das Aufschreiben, was in diesem Sinne durchaus als Aussprechen betrachtet werden kann, die Situation noch nie gebessert hat, weil die anfängliche Hoffnung später doch in Verzweiflung umschlagen würde.
Gott: Als du noch auf Erden weiltest, sah ich dich oft solche Gedanken führen, doch hier im Himmel, könntest du nicht etwas fröhlicher sein?
F.K.: Du weißt, daß ich zum Fröhlichsein nicht geschaffen bin. Gewiß, ich mied die Gesellschaft nicht, vor allem jene lieber Menschen und Freunde, aber es war dies nicht, um sich zügelloser Ausgelassenheit hinzugeben, vielmehr führte ich mit ihnen gerne geistreiche und anregende Gespräche.
Gott: Ich weiß. Jene, die dich gut kannten, schätzten dich als angenehmen, ja witzigen Gesprächspartner. Was ich sagen wollte ist, daß du jetzt endlich glücklich sein könntest. Laß deine Schwermut sein. Lege sie ab, versuch es!
F.K.: Ich habe gekämpft und niemand wußte es. Soll ich jetzt wieder kämpfen, diesmal gegen meine eigene Natur?
Gott: Aber ein anderes Leben schien dir schon damals nicht lebenswert. Natürlich kämpftest du nicht um des Kampfes willen, sondern weil es das einzige war, was zu tun blieb und weil es dich freute. Dachtest du in deinem früheren Leben nicht so oder ähnlich?
F.K.: Warum wieder Fragen, die du besser beantworten kannst als ich? Wir reden und doch wissen wir, daß nur dort reden möglich ist, wo man lügen will. Wir bräuchten auch gar nichts zu sagen und es wäre dasselbe. Jeder wüßte, was der andere zu sagen hat. Oder willst du mir Geständnisse entlocken?
Gott: Gestehen muß nur jemand, der einer Untat bezichtigt oder angeklagt wird. Ich klage dich aber nicht an. Du weißt, daß ich dir auch nichts vorwerfe.
F.K.: Ich weiß. Müßte ich gestehen, würde ich lügen, denn das, was man ist, kann man nicht ausdrücken. Mitteilen kann man nur das, was man nicht ist.
Gott: Franz, was würdest du sagen, wenn ich dich noch einmal auf die Erde zurückschickte, wenn ich dir die Möglichkeit gäbe, noch ein Leben, diesmal ein ganz anderes, auf Erden zu führen?
F.K.: Auch wenn die Menschen meinen, die menschliche Seele sei unergründbar, so hast du doch auf den Grund meiner Seele geschaut. Da ist das Kind, das gern Vater, und die Gattin, die gern Mutter wäre. Keinem anderen Gesetz gehorchen müssen, als dem der sanften Liebe. Angenommen sein als das, was man ist.
Gott: Also gut. Ich möchte dich aber nicht mit den gleichen geistigen Fähigkeiten ausstatten. So etwas fällt auf.
Franz K. nickte nur stumm. Damit hatte er bereits gerechnet. Es war ihm klar, daß Gott dies nicht tun konnte, nicht weil er dazu nicht fähig gewesen wäre, sondern wegen der Menschen. Was würden sie denken, wenn jetzt jemand plötzlich käme und genauso leben, denken, schreiben würde ... Es sei denn, er würde das Schreiben lassen. Aber konnte er das? Das wäre kein Leben. Schreiben als Form des Gebetes, dachte er.
Zum/r Autor/in
Geb. 1957 in Željezno/Eisenstadt, lebt in Klimpuh/Klingenbach und arbeitet im Bundesministerium für europäische und internationale Angelegheiten in Wien. Sie schreibt seit 1979.
Veröffentlichungen:
2012 "Med nebom i paklom / Zwischen Himmel und Hölle", zweisprachiger Gedichtband in Zusammenarbeit mit dem HKDC / verlegt von Kroatischen Kultur- und Dokumentationszentrum; „Immerwährender Literaturkalender PRAG", Vitalis-Verlag, Prag 1996; „Keine Erinnerungen mehr/Nema uspomena", Gedichte, Prag 1994; „Gedichte nach 1984" Lyrik aus Österreich, 1985; "Ptići i Slavuji/Hawks and Nightingales", Wien 1983;