Anfang der Geschichte: Alte Bilder
Daß der Ausländer ein Idiot war, wußte jeder. Wir waren die Wilden vom Archiv, die Desperados aus dem Dachgeschoß. Wir gingen in die Zimmer ohne anzuklopfen, warfen die Akten auf die Schreibtische und gingen ohne zu grüßen wieder hinaus. Die Direktoren ignorierten uns, die Referenten schüttelten die Köpfe, und die Inkassoweiber keppelten. Aber die Lehrmädchen kamen herauf, wenn wir frühstückten und umkicherten und umschwärmten uns, obwohl wir sie nur verhöhnten. Wir hatten einen Anführer, der Cowboystiefel trug und knallbunte Hemden mit exotischen Mustern. Er war immer unrasiert, und seine Haare fielen bis auf den Rücken. Wir nannten ihn Winnetou, und einmal fragte einer: „Aber ist der Winnetou nicht ein Franzose?"
Und ein anderer sagte: „Nein, ein Deutscher."
Und ein dritter: „Also mir hat er gesagt, er kommt aus Penzing."
Aber der Ausländer kam irgendwoher aus dem Orient und war ein Idiot, das wußten wir.
Er arbeitete langsam.
Er roch nach Zwiebel und nach Schweiß.
Er verwendete zum Frühstück einen Fixierer mit Horngriff.
Er schaute immer finster drein, er redete selten und lachte nie.
Er nahm einem Inländer den Arbeitsplatz weg und setzte sich in der
Kantine an den besten Tisch: Ein düsterer Koloß mit einem Brustkorb wie ein Büffel und Schultern wie ein Gorilla. Aber er trug die breiten Schultern schmal und sah uns niemals in die Augen. Wenn er an uns vorbeiging ohne zu grüßen, schauten wir ihm nach und sagten: „Na, kann der Kameltreiber nicht grüßen?" Und wenn er grüßte, sagten wir: „Was ist denn der Tschusch heute so scheißfreundlich?"
Einmal wollte ich meinen Spind aufsperren, da merkte ich, daß er schon offen war. Die Semmel und die Knackwurscht waren noch da, aber das Kaffeehäferl fehlte. Ich klirrte zornig mit dem Schlüsselbund und sagte: „Also diese Mohammedaner schrecken doch vor nichts zurück!"
Am Anfang brachten wir nur seine Schriftstücke wieder durcheinander, nachdem er sie bereits geordnet hatte. Wir versteckten seine Aushebezettel, und die Direktoren, Referenten und Inkassoweiber beschwerten sich, weil sie ihre Akten nicht bekamen. Wir beschrifteten seine Umschläge mit falschen Namen, und die Direktoren, Referenten und Inkassoweiber beschwerten sich wieder, weil sie die falschen Akten bekamen. Wir legten ihm Zeichnungen und Sprüche auf den Schreibtisch oder kritzelten sie ihm auf die Tischplatte, wenn er gerade auf dem Klo war. Wir zeichneten ihn als Gehängten oder mit Krummsäbel im Schädel und mit einem minimalen Schwanz. Und wir schrieben: „WIEN darf nicht ISTANBUL werden!!" Oder: "ÖSTERREICH ZUERST!! DAHAAM statt Islam!!!" Einmal schrieb einer: „Dich hat der HITTLER Vergeßen!!!!" Aber das war den meisten von uns peinlich, und wir schwiegen befangen.
Zum/r Autor/in
Geb. 1968 in Wien, aufgewachsen in Lockenhaus, seit 2000 Regiestudium an der Wiener Filmakademie bei Wolfgang Glück und Michael Haneke. Schreibt Prosa, Theaterstücke und Drehbücher. Buch und Regie für zahlreiche Kurz- Spiel- und Dokumentarfilme. Teilnahme an internationalen Filmfestivals.
Veröffentlichungen:
Theaterstücke:
„Da Prinzessin ihr Noar - Eine traurige Komödie", „Die Uan und die Aundan - Ein Verwirrspiel mit Kinderchor"
Veröffentlichungen in österreichischen und deutschen Zeitschriften, im ORF, Radio Burgenland.
Erzählband „Begegnung mit einem Wahnsinnigen", Klaus-Bielefeld-Verlag 1999; „Der dritte Konjunktiv", Prosaanthologie, Haymon 2000
aktueller Film: