Sic transit gloria mundi
Mit gesenktem Haupt, beinahe schlurfenden Schrittes, geht er am Ende einer Sechserreihe in der Fronleichnamsprozession mit. Seine abgearbeiteten Hände halten vor dem Unterbauch den schwarzen abgegriffenen Hut fest, wobei die Ellbogen leicht angewinkelt sind. Die über dem gekrümmten Rücken hochgezogenen Schultern lassen ihn noch hagerer erscheinen, als er ohnehin ist. Wie sehr er an Körper verloren haben muss, zeigt der viel zu große, schwarze Anzug. Der Rock hängt an ihm wie auf einem Kleiderbügel, wobei die Taschenpartien links und rechts um einiges weiter hinunterreichen als der Rest des Saumes.
Die Hose bewegt sich beim bedächtigen Setzen der Schritte, als würde sie nichts anderes verbergen als Stelzen. Der glänzende, auffallend leere Hosenboden schneidet unentwegt bizarre Grimassen, die an Variantenreichtum nichts zu wünschen übrig lassen. Die weiten Hosenbeine, die bei jedem Schritt nach vor, beziehungsweise nach hinten schwingen, geben immer wieder den Blick frei auf klobige schwarze Schuhe, die zwar sauber, doch sehr abgetragen wirken. Überhaupt scheint die gesamte Gewandung des alten Mannes von einem sehr weit, weit zurückliegenden Fest herzurühren, etwa von der Hochzeit eines seiner Kinder. Wie doch die Zeit vergeht und damit auch das Leben!
Damals, als er mit den Gleichaltrigen des Geburtsjahrganges 1887 von der Musterung in Ödenburg ins Dorf zurückkehrte, war er in einer unbeschreiblichen Hochstimmung, die allerdings nichts mit dem Alkohol zu tun hatte, den sie, auf Rechnung der Gemeinde, bereits konsumiert hatten. Er war stolz auf sich und seinen Hut, von dem lange Seidenbänder in Rot-Weiß-Grün fast bis zum Boden reichten. Die Stellungskommission hatte ihn nämlich für tauglich erklärt, und das war wohl das Wichtigste, denn dieser Befund gab ihm und den Seinen die Gewissheit, dass er gesund war. Und diese Erkenntnis war einfach unbezahlbar.
Bei der Ankunft der angehenden Rekruten auf dem Platz vor der Kirche lief das halbe Dorf zusammen. Nicht nur die Angehörigen der jungen Männer waren gekommen, sondern auch viele andere; in einiger Entfernung standen ein paar Mädchen, die neugierig die Hälse reckten. Sie sahen in den Burschen Heiratskandidaten, und so manche fürchtete sich davor, ihren Favoriten unter den Untauglichen zu erkennen. Das würde nämlich alle Zukunftspläne vereiteln, da die Eltern die Heirat mit einem kränklichen Mann nicht zulassen würden, ereigneten sich doch im Ort, durch das verheerenden Auftreten der Lungentuberkulose, immer wieder erschütternde Familientragödien. Sicherlich war man trotz allem davor nicht gefeit, aber man musste nach Möglichkeit äußerste Vorsicht walten lassen.
Er war also unter den Tauglichen und beinahe übermütig suchte er nach seiner Angebeteten, indem er seine Blicke , etwas abgeschirmt durch die Tauglichkeitsmaskerade, über die Schaulustigen schweifen ließ. Schließlich entdeckte er ihr Gesicht, ihr schüchternes, strahlendes Lächeln, welches ihm zeigt, dass sie sich mit ihm freute. Nun konnte er endlich daran denken, sein Interesse an diesem Mädchen nicht wie bisher nur verstohlen zu zeigen, sondern auch öffentlich um sie zu werben. Es blieb zu hoffen, dass ihre Eltern, einfache, bescheidene und sehr arbeitsame Bauersleute wie seine eigenen, nichts dagegen haben würden. (...)
Zum/r Autor/in
Geb. 1944 in Deutschkreutz. Studium (Germanistik, Anglistik, Volkskunde) in Wien, unterrichtete im Gymnasium Oberpullendorf. Lebt in Deutschkreutz.
Erlebnislyrik in Mundart und Schriftsprache, Textveröffentlichungen in Kulturzeitschriften, Festschriften, Kalendern.