Während Deutschland aufgrund des Ersten Weltkrieges ja alle seine Kolonien, darunter auch die bedeutendste, nämlich Südwestafrika, verlor, konnte Österreich sogar noch eine Kolonie, nämlich Deutschwestungarn, hinzugewinnen. Dies wurde bei den Friedensverhandlungen von St. Germain bewerkstelligt, nachdem der Staatskanzler Dr. Renner feststellen mußte, daß ihm die neugeschaffene Republik Österreich ein bißchen zu klein geraten schien.
„Do wer'ma si hoid vo die Ungarn a bißl a Laund ausburg'n!" meinte er halb scherzhaft in seiner wienerischen Aussprache. Da dieser Satz jedoch protokolliert wurde, erhielt das in Frage stehende Gebiet zunächst den Namen „Ausburgenland", worauf später - durch Verkürzung - „Burgenland" geworden ist.
1921 begann nun Österreich seine neu erworbene Kolonie Deutschwestungarn - oder eben „Burgenland" - in Besitz zu nehmen. Während der Norden des Landes ja hinreichend erschlossen war, wies der Süden auf seiner Landkarte beträchtliche weiße Flecken auf. Um diesem Umstande abzuhelfen, betraute die österreichische Regierung Sir Robert Malcolm McDouglas Davy, einen schottischen Edelmann, der bereits für Britanniens Kolonien Beachtliches geleistet hatte, mit dem Kommando eines Kanonenbootes, welches von der Steiermark aus den Fluß Lafnitz hinunter fahren sollte.
Sir Robert, aus dessen Tagebüchern hervorgeht, daß er annahm, die Lafnitz würde südöstlich der Donau ins Schwarze Meer oder in den Golf von Korinth münden, staunte nicht schlecht, als sie schon nach relativ kurzer Strecke in einen anderen, größeren Fluß mündete. Davy gedachte, diesen Fluß nach dem ersten österreichischen Kanzler, Renner, zu benennen, vertat sich jedoch ein wenig und nannte ihn statt dessen Raab. Doch selbst in diesem seinen Irrtum bewies Sir Robert ganz erstaunlichen Weitblick, denn Ing. Julius Raab, damals Baumeister in St. Pölten, sollte tatsächlich einmal Kanzler der Republik Österreich werden, wenn auch erst viel später, nämlich nach dem zweiten Weltkrieg ...
Dem unveröffentlichten Fragment: „Aus Burgenlands Entdeckungs- und Kolonialgeschichte" entnommen.
Zum/r Autor/in
Geb. 1960, aufgewachsen in Neusiedl am See, Matura 1978, danach Buchhandelslehrling und -gehilfe in Wien, Studium der Volkskunde und der Deutschen Philologie, Leiter der Burgenländischen Landesbibliothek.
Veröffentlichungen:
"Hundert Wörter Burgenländisch", Oberwart 2021; "Das Gespenst mit dem Strohhut: Vier fantastische Geschichten", Oberwart 2016; "Low lines. Glimpfliche Gedichte", Weitra 2015; "Ich als Russe" Erzählungen, Weitra 2005; "Sprechen Sie burgenländisch. Ein Sprachführer für Einheimische und Zugereiste", Wien 2004; "Nichte Gabi", Erzählungen, Weitra 2003; "Der Gelsenkönig" Erzählungen, Weitra 2003
Kinderbuch: "Balthasar und die Bibliotheksfledermaus", Wien 2006