Feuerball

Es ist der 4. Februar und später Abend. Ich sitze im Auto in der Nähe des zukünftigen Tatortes. Die verhasste Zigeunersiedlung ist etwa zweihundert Meter entfernt. Die Dunkelheit ist meine Beschützerin und macht mich für die Bewohner unsichtbar. Meine Gedanken sind beim Ausgangspunkt meines Plans: Ein burgenländischer Fernsehbeitrag hat mir den ersten Kontakt zu den Oberwarter Zigeunern vermittelt. Dunkle Gesichter mit verschlagenen Augen, eine Sprache, die eher an Urlaute oder Tiere erinnert. Das musste ich damals am Bildschirm sehen und hören.

Genau, Tiere, das ist die richtige Bezeichnung für diese Brut. Tiere, die wie Zugvögel in unser Land eingedrungen sind und sich Nester errichtet haben. Warum sonst sind diese Zigeunersiedlungen außerhalb der Dörfer und Städte? Weil sich diese Aussätzigen wie wilde Tiere benehmen, arbeitsscheu sind, die Messer bei ihnen locker sitzen und sie sich in der Zivilisation nicht benehmen können. Aber dieser Ausschluss aus der Öffentlichkeit ist zu wenig, um ihrer Herr zu werden. Daher habe ich beschlossen, sie zu bestrafen. Exemplarisch für alle Zigeuner habe ich Oberwart beobachtet, am Tag und bei Nacht. Höhnisch habe ich den Zigeunern zugewinkt, wenn ich mit dem Auto an der Siedlung vorbeigefahren bin. Getarnt als Neugieriger, ein so genannter Zigeunerschauer.

Den strategisch besten und für mich sichersten Platz habe ich mir dafür ausgesucht. Die unmittelbare Nähe eines Viadukts bietet meinen Beobachtungen einen unschätzbaren Vorteil. Wie ein grandioser Feldherr es eben tut, der zuerst alle Schwächen seiner Feinde auskundschaftet, um dann in der Dunkelheit umso erbarmungsloser zuschlagen zu können. Doch was würde die beste Strategie der Welt nützen, wenn keine Feinde auf mein geplantes Schlachtfeld kommen würden?

Daher bin ich jeden Samstag in der Nacht seit jenem Fernsehbeitrag nach Oberwart gekommen. Und es hat nur drei Samstage gedauert, bis vier dieser Zigeuner auf meine Lichtzeichen mit einer Taschenlampe reagiert haben. Natürlich habe ich mich damals in Sicherheit gebracht, um nicht von ihnen entdeckt zu werden. Damals hat ein regelrechtes Katz- und Mausspiel begonnen. Anfangs waren die Lichtzeichen nur als eine Art Test gedacht. Doch später war es wie eine Sucht.

Licht an, und die Zigeuner waren da. Licht aus, und die Zigeuner waren im Dunkeln. Hilflos und ratlos. Bei diesen Beobachtungen ist mir klar geworden, dass sie nicht im Besitz von Waffen oder scharfen Hunden sind. Und das hat meine Planung erleichtert. Ab da habe ich sie jeden Samstag mit meinen Lichtzeichen angelockt. Immer um dieselbe Uhrzeit. Wie wilde Tiere, die jeden Tag zu einer bestimmten Zeit in ihren Käfigen auf die Fütterung warten, sind sie meinen Lichtzeichen gefolgt. Zeitweise hatte ich den Eindruck, dass sie jeden Samstag warten, als würden sie ahnen, was auf sie zukommt. Wenn das Licht der Taschenlampe erlosch, diskutierten sie über die ihnen unverständlichen Lichtzeichen. Jeder der vier hatte eine andere Version parat. In den Schwingungen ihrer Stimme habe ich ihre Angst verspürt. Die Angst vor dem Unverständlichen. Doch auch die grenzenlose Neugier.

Eine Neugier, die meinen Plan immens erleichtert. Und so steige ich aus dem Auto und öffne den Kofferraum. Und hier liegt sie in drei Teilen, die todbringende Göttin, die in wenigen Minuten die Zeitrechnung neu beginnen lassen wird.

Mit der Präzision eines Uhrwerks beginne ich, die Bombe zusammen zu bauen. Es dauert nur wenige Minuten, ich habe diese Situation schon tausendfach in meinem Kopf erprobt. Jeden Handgriff habe ich so automatisiert und die Zeit dabei gestoppt. Jetzt ist alles kinderleicht.

Und jetzt beginnt der schwierigste Teil meiner Arbeit, nämlich die vier Zigeuner anzulocken. Heute werden sie zum letzten Mal kommen, danach wird es für sie keine Rückkehr in ihre Siedlung geben. Mit der Taschenlampe beginne ich das bekannte Spiel. Licht ein, Licht aus, minutenlang. Und plötzlich sind die Zigeuner da, gerade noch, dass ich mich in der Unterführung in Sicherheit bringen kann. Sie nähern sich meiner Göttin, meiner Unberührbaren. Meine Göttin ist heute harmlos getarnt, keiner sieht ihr die todbringende Macht an. Erstaunt stehen die Zigeuner um sie herum. Zum ersten Mal sind sie mit ihr konfrontiert. Einer der Zigeuner leuchtet meiner Göttin ins Gesicht. Ich habe ihr Gesicht mit einer Tafel getarnt. „Roma zurück nach Indien". Eine Botschaft, die dieses Pack in Zukunft befolgen soll.

„Berührt meine Göttin!" schreie ich den Zigeunern stumm entgegen. „Berührt ihr Gesicht, und sie wird es euch mit einem einzigartigen Lächeln danken! Berührt sie, und sie wird euch küssen, und dieser Kuss wird der letzte eures Lebens sein!"

In diesem Moment berührt einer der Zigeuner die Tafel. Eine gewaltige Explosion lässt alles erbeben, und ein riesiger Feuerball steigt zum Himmel empor. Totenstille und Finsternis dann. Meine Göttin hat den Zigeunern keine Chance gelassen, sich von ihren Verwandten und Bekannten zu verabschieden. Sternförmig liegen sie da, wie nach einem Ritual.

Sie werden nie mehr einen Sonnenaufgang erleben. Nie mehr wird einer von ihnen über das Geschehene reden können. Nie mehr wird einer ihrer Gedanken jemanden erreichen. Ihre letzten Minuten werden immer ein Geheimnis bleiben, und niemand wird je erfahren, wie es ist, wenn man von den Splittern dieser Bombe geradezu aufgespießt wird, wenn Lungen und Herzen zerrissen werden und Gliedmaßen verstreut umher liegen. Nur ihre Augen sind unversehrt geblieben. Unversehrt, um sich an den Sternen zu orientieren.

Sterne, die sie auf ihrem letzten Weg nach Indien begleiten werden. Die Sterne aber werden nie reden.

Und ich, ich werde unsterblich sein. Ich werde in die Geschichte eingehen, und mein Name wird unauslöschlich bleiben.

Zum/r Autor/in

Geb. 1949 in Oberwart oder Erba, wie die alte Romasiedlung auf Roman heißt. Volksschule in Oberwart, war der erste Roma, dem es erlaubt war, die Hauptschule zu besuchen. Arbeitete bei diversen Baufirmen in Wien, Betriebsrat und Polier, zuletzt im Landeskrankenhaus Oberwart. In der edition lex liszt 12 erschienen 2003 der Erzählband „Ich war nicht in Auschwitz", 2007 der Erzählband "Katzenstreu" und 2013 der Band "Atsinganos. Die Oberwarter Roma und ihre Siedlungen", 2017 der Band "So gewaltig ist nichts wie die Angst: Texte aus zwei Jahrzehnten".

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