Ein Stadtgespräch
Es ging nicht nur um Barcelona mit seiner Fünfmillionenmasse, wo im Zentrum Altrom als Mauerrest aufragt und grundsätzlich Geschichte behauptet, vor der man als Schüler steht. Wo sich das Mittelalter eng, vielgeschoßig, gotisch dazudrängt, daß einen Jahrhunderte verwirren. Wo einen vollendete Fassaden und kathedrales Nonfinito gierig fotografieren lassen. Wo man auf kunstreich geschnittene Steine tritt, inmitten einer unbändigen Zierlust vom Pflaster bis aufs Dach, neben Modeeleganz an religiös gezähmter Armut vorbei. Wo Grottengassen im Hochfrühling frösteln, zu Durchzugsstraßen aufplatzen in Rasterviertel hinein, eine Weite, die den Fußgänger entmutigt. Mit Büro- und Firmenblocks in Metall- und Hartglashäuten, Immobilien wie hingetrümmerter Kunstfels, Steinbruchplätze, gewagte Raumformen, Palmenkolonnaden, Baulücken mit stählernen Schattenspendern, Innen und Außen greifen einander ins Licht. Was bedeutet hier Einwohnerschaft? Statisterie in einer Straßenoper an Gehupe und Auspuffgedröhn, im wogenden Tumultdesign aus Passantenströmen, Marktschreiern, Combos, Gauklern, Demonstranten. Aber es ging nicht nur um Barcelona. Es ging um freiwillige Verlorenheit und die Großstadt.
Als Modell im Längsschnitt vorgestellt, schichtet sich die Großstadt aus eigenartigen Lebensräumen, baulich verbunden, mental verschachtelt, mit schillernden Zeitgrenzen zur statistischen Finsternis sowie zwischen Tag und Nacht. Jeden urbantektonischen Bereich regiert augenfällig sein Wesensgesetz. An Orten darin, die sich dem Einblick verbergen, die wir in Vorsicht meiden, irrlichtert unser Vorurteil, lodert die Phantasie mit Traum und Gefahr, von Neugier, Wunsch und Ängsten entfacht. Trotz Übergängen lassen sich zunächst vier übereinanderliegende Sphären unterscheiden, wovon jede einzelne empfindsam zu gliedern ist: die Dachschaft, das Stockwerk, das Straßennetz, der Untergrund mit Metro und Kanal. Daran fügt sich, fünftens, der Vorort: rundherum als Peripherie, wo First und Pflaster ins Erdige laufen sowie, hingestellt als jäher Hochhäuserkral, als geballte Betonerektion, der Trabant. Zuletzt sind noch die Ödstätten zu nennen, das Abseits: Abbruch, versandeter Rohbau, Fabriksruinen, Riesenwracks und tote Docks, verrottete Kopfbahnhöfe - aller elendiger Unterschlupf, Geburtsorte für Aufruhr und böse Mythen sowie für neue Kunst. Wer in diesem Gesamtungetüm unter Millionen einen Verschwundenen sucht, wird notgedrungen zum Stadt- und Menschenforscher auf eigene Faust.
Aus: „Ein Stadtgespräch"
Zum/r Autor/in
Geb. 1944 in Wien, Jugend in Stegersbach, Matura; kfm. Angestellter, Redakteur, Werbetexter und Autor, Werbeleiter, Marketingleiter; Mitorganisator des Internationalen Hörspielzentrums in Unterrabnitz; Lehrbeauftragter am Institut für Publizistik der Universität Salzburg; lebt in Wien.
Hörspiele (ORF, NDR, Radio Bremen): u.a. „Donnerwetterblitz"; „Die Lampe"; „Ohrklingen"; „Crème du crime". Filmdrehbücher, Prosa und Lyrik.
Staatspreise für textliche und gestalterische Werbekreation.