Filmabend: Die Frau mit den 5 Elefanten

Dokumentarfilm über die Dostojewskij-Übersetzerin Swetlana Geier

19:00 Uhr

Literaturhaus Mattersburg

„Für das Übersetzen ist die Vorstellung eines Transports keine zureichende Metapher. Es ist kein Transport, weil das Gepäck niemals ankommt. Mich haben immer die Verluste interessiert. Mich hat das interessiert, was immer jenseits des Neuen, des Übersetzten bleiben muss.“ Swetlana Geier

Swetlana Geier galt als die größte Übersetzerin russischer Literatur ins Deutsche. Ihr Lebenswerk waren die Neuübersetzung der fünf großen Romane von Dostojewskij, genannt die fünf Elefanten. Großes sinnliches Sprachverständnis und kompromisslose Achtung vor den Autoren prägten ihre Arbeit, wie ihre persönliche Geschichte im Europa des 20. Jahrhunderts.

Mit Vadim Jendreyko reist die 85-jährige Frau zum ersten Mal aus ihrer Wahlheimat Deutschland zurück an die Orte ihrer Kindheit in die Ukraine. Der Film verwebt Swetlana Geiers Lebensgeschichte mit ihrem literarischen Schaffen und spürt dem Geheimnis dieser unermüdlich tätigen Frau nach. Er erzählt von großem Leid, stillen Helfern und unverhofften Chancen - und einer alles überstrahlenden Liebe für Sprache.

Swetlana Geier

Swetlana Geiers Leben wurde von Europas Geschichte überschattet. 1923 in der Ukraine geboren, erlebte sie mit 15 Jahren, wie ihr Vater bei Stalins politischen Säuberungen verhaftet wurde, 18 Monate später schwer misshandelt entlassen wurde und kurz darauf starb. Mit 18 Jahren verlor sie ihre beste Freundin, als SS-Kommandos in Kiew 30.000 Juden hinrichten. Während der Besetzung der Ukraine arbeitete sie als Dolmetscherin und wurde 1943 mit ihrer Mutter in ein Ostarbeiterlager in Dortmund interniert. Sie erlebte die Gräuel zweier Diktaturen, aber traf immer wieder auf Menschen mit Zivilcourage und Mut, die sich für sie engagierten und ihr Überleben ermöglichten.

Nach dem Krieg blieb sie in Deutschland, studierte, gründete eine Familie und begann, russische Literatur ins Deutsche zu übertragen. Sie hatte den Anspruch, dass die Übersetzung im Kern den Geist des Werkes und das Wesen des Autors treffen muss. Zugleich war ihr bewusst, dass jede Übersetzung letztendlich unvollkommen und der Zeit ihrer Entstehung verhaftet bleibt: „Übersetzungen sind sterblich. Jede Zeit verdient ihre eigenen Übersetzungen“.

Swetlana Geier hat in Ihrer Laufbahn Werke von Puschkin, Gogol, Tolstoi, Solschenizyn, Platonov, Belyj, Tschukowskaja, Sinjawskij, Afanasjew, Wojnowitsch, Katajew, Bunin, Bulgakow und Dostojewskij ins Deutsche übertragen. Ihre Übersetzungen erschienen u.a. bei den Verlagen Ammann, S. Fischer, Luchterhand, Reclam und Dörlemann. Für ihre herausragenden Verdienste um die Vermittlung russischer Kultur, Geschichte und Literatur erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, zuletzt den Preis der Leipziger Buchmesse 2007. Sie unterrichtete für 40 Jahren an verschiedenen Universitäten, und war Trägerin der Ehrendoktorwürde der Universitäten Basel und Freiburg. 2010 starb Swetlana Geier in Deutschland.
 
Dostojewskijs Werk nahm in Swetlana Geiers Leben einen besonderen Stellenwert ein, ihr Lebenswerk waren die Neuübersetzung der fünf großen Romane von Dostojewskij, genannt die fünf Elefanten: „Verbrechen und Strafe“, „Der Idiot“, „Böse Geister“, „Die Brüder Karamasow“ und „Ein grüner Junge“. In einem jahrelang dauernden Prozess verleibte sie sich die Texte ein, studierte die Manuskripte Dostojewskijs, reiste an die Schauplätze, an denen die Handlungen in den Romanen angesiedelt sind, um deren Geografie zu verstehen und mit den Augen des Schriftstellers sehen zu lernen. 

„Meine Lehrerin hat immer gesagt: ‚Nase hoch beim Übersetzen’. Das heißt, man übersetzt nicht von links nach rechts, wie die Sprache läuft, sondern nachdem man sich den Satz angeeignet hat. Er muss nach Innen genommen, ans Herz gelegt werden. Ich lese das Buch so oft, bis die Seiten Löcher kriegen. Im Grunde kann ich es auswendig. Dann kommt ein Tag, an dem ich plötzlich die Melodie des Textes höre.“

Die Frau mit den 5 Elefanten

Mit 85 Jahren reist Swetlana Geier zum ersten Mal seit dem Krieg zurück an die Orte ihrer Kindheit in der Ukraine. Der Regisseur Vadim Jendreyko begleitete sie auf dieser Reise. In Fragmenten zeichnet der Film die Erinnerung der Protagonistin auf, Archivbilder widerspiegeln dabei die Weltgeschichte, deren Zeugin sie war. Er begleitet sie zu den versiegelten Orten ihrer Kindheit und folgt ihr zuhause bei ihren Alltagsaufgaben wie auch bei ihrer literarischen Tätigkeit. Der Film verwebt Swetlana Geiers Lebensgeschichte mit ihrem literarischen Schaffen und spürt dem Geheimnis dieser unermüdlichen Mittlerin zwischen den Sprachen nach.

Der Film erschien 2009 und wurde seither mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Prix Spécial SRG SSR und Prix SSA/Suissimage, dem DEFA Förderpreis und einer Nominierung zum European Film Academy Dokumentarfilm 2009.

Vadim Jendreyko

wurde 1965 in Deutschland geboren und ist in der Schweiz aufgewachsen. Er besuchte das Gymnasium, die Kunstgewerbeschule Basel und die Kunstakademie Düsseldorf. Seinen ersten Film realisierte er 1986. 2002 gründete er mit Hercli Bundi die Mira Film GmbH und ist dort auch als Produzent und Koproduzent tätig. Er lebt in Basel.

Eintritt: Freie Spende

Aus organisatorischen Gründen bitten wir um Anmeldung unter andrea.holzinger_at_literaturhausmattersburg.at. Auch ohne Anmeldung können Sie an der Veranstaltung teilnehmen, es werden ausreichend Sitzplätze vorbereitet.

Im Rahmen dieser Veranstaltung werden Fotografien und/oder Filme erstellt, die für Pressearbeit und Berichterstattung sowie in verschiedenen Sozialen Medien, Publikationen und auf unserer Website verwendet werden. Sollten Sie nicht damit einverstanden sein, wenden Sie sich bitte an das Team des Literaturhaus Mattersburg.

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