sich über Stunden seines Irrweges durch die Finsternis, einem imaginierten Licht folgend, mit ihm unterhalten. Es erstaunte ihn, daß nichts Gequältes in diesem Gesicht auffindbar war, im Gegenteil. Die Erhabenheit des endlich erkämpften Friedens hatte sich über das Antlitz gegossen. Das Blut aus Nase, Mund und Ohren war eingetrocknet. Alles erzählte von der unsäglichen Gnade einer unsäglichen Erlösung.

Marterten sie den Toten, um ihn vor sich und der Welt zu demütigen ? Oder um ihm auf diese Art ihre Ehre zu erweisen ?

Die Euphorie, die angesichts des Toten in ihm entflammt war, erlosch jäh, als er die kleinen Finger einer kleinen Hand an seiner Hand spürte. Ein Kind blickte mit weit aufgerissenen schwarzen Augen zu ihm hoch. Es ekelte ihn vor den Fingern dieser Hand, er erinnerte sich ihrer schmierigen Spur an den Scheiben des Waggons. Dennoch wagte er nicht, sich von ihnen zu befreien. Und als die kleine Hand schließlich an seiner Hand zog, ließ er sich ziehen.

Sie hielten vor einer Hütte, deren Mauern von Sandmörtel und Kakteenblättern zusammengehalten waren. Einige bloßfüßige Halbwüchsige mit zerrissenen Hosen kauerten davor. Sie unterbrachen ihr flüsterndes Geschwätz und erhoben sich nun. Ihr Blick wandte sich wie zufällig vom Ankommenden ab, er wußte jedoch, daß sie jeder seiner Bewegungen folgten.

Das Kind zog ihn durch das Spalier der Halbwüchsigen und die kaum schulterhohe Türe in das Innere der Hütte, das aus einem einzigen Raum bestand. Auf der Längsseite saßen einige Männer verschiedenen Alters auf einer Holzbank. Die Schatten ihrer Köpfe und Schultern klebten demütig in sich gekehrt am brüchigen Verputz der Wand. Manchmal hob einer den Hut und kratzte sich am Kopf, während seine Augen nicht aufhörten, ins bodenlose Nichts zu starren.

Die Frau auf dem Laken lächelte bei geschlossenen Augen. "Nehmen Sie Platz!" sagte sie mit sanfter, halb flüsternder, halb gebrochener Stimme. Sie drehte den Kopf in seine Richtung, ohne die Augen zu öffnen, als wäre sie besorgt um ihr Gedächtnis. So etwas wie Güte lag wie ein durchsichtiges Tuch über diesem schweißbetauten Gesicht und glättete seine Falten. Das Bett indes knarrte leise zu den Stößen des Mannes, der mit geöffneter Hose an der Breitseite des Bettes zwischen den Schenkeln der Frau stand, seine Hände auf die Innenseite ihrer Schenkel gelegt hatte und sie penetrierte.

"Nehmen Sie doch Platz! Ich habe schon auf Sie gewartet."

aus: Peter Wagner: Tote Vulkane", S. 21

Zum/r Autor/in

Geb. 1956 in Wolfau, freier Autor und Theatermacher. Romane, Erzählungen, Filme, Hörspiele, Schallplatten, Theaterstücke,Inszenierungen, lebt im Südburgenland.

Veröffentlichungen:

71 ODER DER FLUCH DER PRIMZAHL, Edition Marlit, 2016; Es ist eine Not mit uns – Ein pannonisches Pamphlet, edition lex liszt 12, 2016; Kreuzigungen. Ein Tryptichon – Roman in drei Richtungen, Edition Marlit, 2013; Die Burgenbürger. Die ultimativ märchenhafte, märchenhaft ultimative Geschichtsschreibung eines weithin unerforschten Menschenvolks. Roman, Edition Marlit 2009; Tetralogie der Nacktheit, 4 Stücke, Oberwart 1995; Wenn wir einmal Engel sind, Requiem, Den Verschwiegenen edition lex liszt 12 u.a. "Das Märchen der Musik. Ein poetisches Bilderbuch, Oberwart 1995; "Todestag", Oberwart 1993; "Lafnitz. Ein Stück", München 1992; "Lafnitz. Ein Stück. O piesa (Deutsch/Rumänisch), Oberwart 1992; "Die Mühle", München 1991: "Aktion am Drulitschweg", Erzählung, Eisenstadt 1981

Tonträger: Die weiße Frau, Die schwarze Kaiserin, Die Bombe am Kinderspielplatz, Die gläserne Spinne, u.a.

http://www.peterwagner.at

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